Hat das Vertrauen in politische Institutionen während der Corona-Krise nun zu- oder abgenommen? Eine Gegenüberstellung.
Allora, com'è cambiata la fiducia nelle istituzioni politiche durante la pandemia Covid? Un confronto.

Norman FRM Fauster - 2020

In der empirischen Sozialforschung ist man häufig mit der Aufgabe konfrontiert, eine oder mehrere Eigenschaften von Personen zu messen, quantitativ zu erfassen. Dabei handelt es sich nicht um physische Merkmale wie Größe oder Gewicht, sondern um Einstellungen wie Umweltbewusstsein, die Meinung zu Migration oder die Zufriedenheit mit politischen Institutionen. Sie zu messen ist deutlich komplexer, als das Gewicht einer Person von einer Körperwaage abzulesen. Doch wie messen Sozialwissenschaftler/innen Einstellungen und worauf ist zu achten?


(Foto: Pixabay)

Ein wichtiger Schritt ist die Operationalisierung, also die Wahl eines geeigneten Messinstrumentes. Bei Waagen gibt es verschiedenste Bauformen, mechanische oder elektronische, mit analoger oder digitaler Anzeige. Dennoch ist bei allen Verlass, dass sie das Gewicht mit einer gewissen Genauigkeit richtig messen und nichts anderes. Bei den Messinstrumenten der Sozialforschung ist dagegen mehr Vorsicht geboten. Die Frage „Wie umweltbewusst sind Sie?“ kann von einigen mit „sehr“ beantwortet werden, weil sie sehr auf Mülltrennung achten. Andere geben diese Antwort weil sie sehr oft die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen oder das Anfallen von Müll sogar vermeiden, etwa durch den Kauf von verpackungsfreien Produkten. Wieder andere beziehen „Umweltbewusstsein“ auf die Nähe zur Natur und die Häufigkeit ihrer sportlichen Aktivitäten an der frischen Luft. Als Operationalisierung von „Umweltbewusstsein“ ist die gestellt Frage also nicht geeignet. Sie ist nicht valide, d.h. sie misst inhaltlich nicht die Eigenschaft, die erfragt werden soll, oder sie misst sie zumindest sehr vage. Besser wäre es beispielsweise, eine Reihe von konkreten Verhaltensweisen abzufragen und daraus auf das Umweltbewusstsein einer Person indirekt zu schließen. Das Messen von Einstellungen ist also nicht so einfach. Welche Ergebnisse Studien finden, wenn sie unterschiedliche Messinstrumente verwenden, zeigen die folgenden Beispiele.

Im Juli 2020 veröffentlichte das Landesinstitut für Statistik ASTAT die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der Südtiroler Bevölkerung zu den Auswirkungen des Corona-Lockdowns. Diese besagen, dass das Vertrauen in die politischen Institutionen im Vergleich zur Zeit vor der Lockdown-Phase gesunken sei (S. 5). In der Tat gaben 38% der Befragten an, ihr Vertrauen in politische Einrichtungen sei gesunken, während 8% ihr Vertrauen als gestiegen bewerten (54% „gleich geblieben“). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie von More in Common. Die Fragestellung war dieselbe. Hier gaben 42% der Befragten in Norditalien an, ihr Vertrauen in die italienische Regierung sei gesunken, 16% es sei gestiegen – bezüglich der lokalen Verwaltungen sind die Zahlen etwas verschieden (22% gesunken; 22% gestiegen).

Im Gegensatz zu diesen Studien verwenden in regelmäßigen Abständen (ein- bis mehrmals jährlich) durchgeführte Befragungen ein anderes Messinstrument. Sie messen das Vertrauen der Personen in politische Institutionen im Moment der Befragung und vergleichen die Werte der einzelnen zeitlich verschiedenen Befragungen. Italienische Forschungsinstitute (Piepoli, Demopolis) finden auf diese Weise eine Zunahme des Vertrauens in politische Institutionen im Vergleich zur Zeit vor dem Corona-Lockdown. Sie setzen politische Institutionen mit den politischen Führungspersonen gleich. Sowohl Premierminister Conte als auch Staatspräsident Mattarella legten im Vergleich zum Beginn des Jahres 2020 zu (Conte von 40% auf knapp 60% Zustimmung). Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Studien im Nachbarland Österreich und in Deutschland. Für Österreich stellt OGM eine Zunahme des Vertrauens in die Politik fest, seit Erhebungsbeginn 2014 hat sogar erstmals eine Mehrheit der Bevölkerung (52%) Vertrauen in die Politik. Für Deutschland verzeichnet das Forsa Institut bei repräsentativen Befragungen im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes einen Anstieg des Vertrauens in die Politik um 22% Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.

Die Gründe für die verschiedenen Ergebnisse könnten mehrere sein. Entweder weichen die Entwicklungen der Einstellungen in den betrachteten Bevölkerungen tatsächlich voneinander ab. Das zu beantworten, ist mit diesen Studienergebnissen nicht möglich. Im Fall der gesamtitalienischen Bevölkerung jedenfalls sind einheitliche Ergebnisse zu erwarten, für Südtirol ähnliche Entwicklungen wie in Österreich oder anderen italienischen Provinzen. Es kann auch die Stichprobe der Befragten nicht repräsentativ sein, was Verzerrungen zur Folge hat. Die Repräsentativität wird jedoch von allen Studien bis auf jene von More in common garantiert. Zu deren Forschungsmethode wurden keine Angaben gemacht.

Daher bleibt als plausible Erklärung nur die mangelnde Validität der Fragestellungen: Die angewendeten Operationalisierungen ergeben Instrumente, die nicht dasselbe messen. ASTAT wie auch More in common verwendeten rückblickende Selbsteinschätzungen der Änderung der Stärke des Vertrauens in politische Institutionen und kamen damit zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Die anderen Studien und Meinungsumfragen vermeiden die retrospektive Selbstbewertung und reduzieren dadurch mehrere Unsicherheitsfaktoren: das mangelnde Erinnerungsvermögen von Menschen an die Intensität von Gefühlen und Einstellungen, die durch die Zeit verzerrte Rekonstruktion früherer Gefühle und die verschiedenen Strategien, mit denen Menschen versuchen, von ihren derzeitigen Einstellungen Rückschlüsse auf die Vergangenheit zu ziehen. Mit der Methode des retrospektiven Fragens werden in den Beispielen einheitlich andere Ergebnisse als in den Studien mit zeitlich gestaffelter Erhebung erzielt. Die Selbsteinschätzung des eigenen Vertrauens in die Politik und dessen Änderung ist daher nicht gleichzusetzen mit einem tatsächlich Zuwachs oder Schwund des Vertrauens, sondern stellt eine subjektive Bewertung durch die einzelnen Befragten dar.

Einstellungen von Menschen in der Sozialforschung zu messen, kann nur mit der Wahl der geeigneten Operationalisierung und valider Instrumente gelingen. Sonst besteht die Gefahr, dass die erzielten Ergebnisse keine Auskunft über die zu messende Einstellung, sondern über ganz andere Phänomene liefern. Deshalb ist es umso wichtiger, für Unsicherheiten anfällige Fragen wie retrospektive Bewertungen von Einstellungsänderungen zu vermeiden und Umfragen mit großer Umsicht zu entwickeln. In jedem Fall ist es für die interessierten Leser/innen und Wissenschaftler/innen angebracht, die genauen Fragestellungen bei Umfragen sowie deren Wiedergabe und Interpretation in den Berichten zu vergleichen und prüfen, bevor daraus Schlüsse gezogen werden.
 
 
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