Hat die Handwerkslehre Zukunft?
Quale futuro per l‘apprendistato?

Hermann Atz - 2019

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde, auch im Bereich des Südtiroler Handwerks. Dort werden Fachkräfte traditionell im Rahmen der dualen Berufslehre ausgebildet. Doch dieses Ausbildungsmodell steckt seit Langem in einer Krise, die sich vor allem als Abstimmung mit den Füßen ausdrückt: Immer weniger junge Leute schlagen den beruflichen Bildungsweg der dualen Lehre ein, immer schwerer tun sich die Betriebe, geeignete Lehrlinge zu finden. Gibt es einen Ausweg? Hat die Handwerkslehre überhaupt noch Zukunft? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Einige Überlegungen auf der Grundlage von Daten und empirischen Studien.


(Foto: Pixabay)

Die klassische Berufslehre, wo Betrieb und Schule gemeinsam die berufliche Ausbildung der Jugendlichen besorgen, gilt als Vorzeige-Modell für die praxisnahe Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt. Deutschland, Österreich, die Schweiz und auch Südtirol sind jene Länder, in denen dieses Modell große Tradition hat und die sich allesamt durch eine florierende Wirtschaft und geringe Jugendarbeitslosigkeit auszeichnen.

Dennoch wird seit vielen Jahren eine Krise dieses Modells beobachtet, die sich vor allem in einer Abstimmung mit den Füßen ausdrückt: Immer weniger junge Leute schlagen den beruflichen Bildungsweg der dualen Lehre ein, immer schwerer tun sich die Betriebe, geeignete Lehrlinge zu finden. Erst jüngst beklagte Martin Haller, Präsident des Wirtschaftsverbandes Handwerk und Dienstleister LVH, diesen Umstand für den Handwerkssektor (Neue Südtiroler Tageszeitung vom 17.09.2019, S. 9). Er machte dafür die Eltern der jungen Leute verantwortlich, weil sie diese oft gegen ihren Wunsch zum Besuch einer Oberschule oder eines Vollzeitlehrgangs der Berufsbildung drängten. Aber auch an den Jugendlichen selbst liege es, weil sie nur geringe Bereitschaft zur räumlichen Mobilität zeigten, also dazu, eine Lehrstelle auch dann anzunehmen, wenn sie nicht bequem vom bisherigen Wohnort aus erreichbar ist. All das ist nicht von der Hand zu weisen. Indirekt räumt Haller jedoch auch Versäumnisse der Arbeitgeberseite ein, wenn er fordert, in der Meisterausbildung solle den künftigen Ausbilderinnen und Ausbilder von Lehrlingen bessere Kompetenzen für diese Aufgabe vermittelt werden. Und dann brauche es mehr Aufklärung der Öffentlichkeit, dass es sich bei der Berufslehre um eine vollwertige Ausbildungsschiene handle.

Vollzeit- und Lehrlingskurse an den Berufsschulen 2016/17, Astat-Info Nr. 20, 05/2017, S. 1

Apollis hat sich in einer Reihe von Studien mit diesem Themenbereich beschäftigt. So wurde vor beinahe 20 Jahren eine umfassende Studie zum Image der Berufsbildung vorgelegt (Siehe hier). Dort zeigte sich, dass die Berufslehre in weiten Teilen der Bevölkerung als weit weniger attraktiv gilt als der Besuch einer weiterführenden Schule. Sie sei vor allem für lernschwache Schülerinnen und Schüler geeignet und stelle eine Art Sackgasse dar. Und tatsächlich wählten (und wählen wohl immer noch) primär jene Jugendlichen die duale Ausbildung, die in der Mittelschule schlechte Noten erhalten haben oder in der ersten Klasse einer Oberschule gescheitert sind. Das mag daran liegen, dass eine handwerklich-praktische Begabung der jungen Menschen sich kaum in guten Schulnoten niederschlägt, es weist aber auch in Richtung einer Ausbildungsschiene vorwiegend für Schulversager oder Lernverweigerer. Und die Eltern befürchten, dass ihre Töchter oder Söhne in der Berufsschule in ein eher (schul-)leistungsfeindliches Umfeld geraten würden. Tatsächlich zeigte eine andere Apollis-Studie über die Ursachen der recht häufigen Abbrüche der dualen Lehre (diese Studie im Auftrag des deutschen Bildungsressorts wurde leider nie veröffentlicht), dass die jungen Leute nicht selten an den Anforderungen der Berufsschule scheitern bzw. auch daran, dass die Lehrlinge wenig Unterstützung von den Ausbildungsbetrieben erhalten, wenn sie in der Schule Probleme haben.

Trotz einer Reihe von Initiativen und Maßnahmen auf politischer Ebene, etwa der Einführung der Berufsmatura oder des sogenannten Lehrlingspaktes, der 2015 vom Land Südtirol, der Wirtschaft und Arbeitnehmervertretern mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, hat sich an den obigen Befunden nicht viel geändert. Allenfalls konnte zuletzt der langjährige Abwärtstrend aufgehalten werden. Dass nicht alles eitel Wonne ist, belegt auch ein laufendes internationales Erasmusplus-Projekt, an dem der Handwerkerverband mitarbeitet. Laut einer Befragung, die im Rahmen dieses Projekts durchgeführt wurde, vermissen Betriebe bei Lehrlingen vor allem Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Ehrgeiz, Lernwilligkeit und Allgemeinbildung (Siehe hier).

Unter den 17-jährigen besuchen in Südtirol heute gut 10 Prozent oder ca. 650 Jugendliche einen Lehrlingskurs an der Berufsschule, doppelt so viele einen Vollzeitkurs; 60 Prozent finden sich dagegen an einer Oberschule. Mehr als die Hälfte der Lehrlinge entfallen dabei auf den Sektor Handwerk und Industrie – darunter nur ein Viertel Mädchen. Die duale Lehre ist also zu einer Art Nische geworden.

Wenn man sich nicht damit begnügen will, dann reichen die bisherigen Bemühungen offenbar nicht, sondern es braucht eine grundlegende Reform. Diese könnte darin liegen, die Zweiteilung der Berufsbildung in Vollzeitkurse und duale Lehre wenigstens dort zu überdenken, wo fast dieselben Berufsbilder betroffen sind. Das würde bedeuten, eine solidere Allgemeinbildung für die Lehrlinge, eine größere Praxisnähe und Einbindung in die betriebliche Realität für die Schülerinnen und Schüler der Vollzeitkurse zu gewährleisten. Und es würde den Betrieben hoffentlich ein größeres Potenzial an Bewerbern für Lehrstellen bescheren, das eher ihren Anforderungen genügt. Auch eine verkürzte Lehre nach einem Oberschulabschluss könnte für manche Zielgruppen attraktiv sein.

Amt für Arbeitsmarktbeobachtung: Arbeitsmarktbericht Südtirol 2018/2, S. 32Quelle: Amt für Arbeitsmarktbeobachtung, zitiert nach Präsentationsdokument „Lehrlingspakt 2015-18. Pressekonferenz am 7. Juni 2018“, Folie 14 (http://www.provinz.bz.it/news/de/news.asp?news_action=4&news_article_id=614473)
 
 
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