Vor 30 Jahren hat Südtirol die Doppelfunktion von LH und SVP-Parteiobmann abgelehnt
30 anni fa l‘Alto Adige rifiutò la doppia funzione di leader del partito SVP e governatore

Hermann Atz - 2022

Der innerparteiliche Konflikt, der rund um das Erscheinen des Buchs „Freunde im Edelweiß“ heuer aufgeflammt ist, hat eine altes Diskussionsthema aktuell gemacht: Sollen die Funktionen der Südtiroler Landeshauptmanns und des SVP-Parteiobmanns in einer Hand liegen oder besser getrennt bleiben? Vor genau 30 Jahren hat Apollis eine aufschlussreiche Umfrage zu dieser Frage gemacht.


(Foto: FF)

Zum besseren Verständnis braucht es eine kurze historische Rückblende: Im Jahr 1989 war die charismatische Führungsfigur Silvius Magnago von Luis Durnwalder als Landeshauptmann beerbt worden. Magnago war 30 Jahre lang an der Spitze der Landesregierung und noch etwas länger an jener der Südtiroler Volkspartei gestanden, er hatte als bisher einziger Politiker beide Ämter auf sich vereinigt. Den Parteivorsitz behielt er noch etwas länger, aber 1991 übergab er auch diesen, und zwar an den langjährigen Parlamentarier Roland Riz. Riz sah seine Mission erfüllt, als es 1992 zur sogenannten Streitbeilegungserklärung durch die Schutzmacht Österreich kam – das entsprechende Jubiläum ist ja im heurigen Frühjahr ausgiebig gefeiert worden. Damit stellte sich die Frage: wer wird sein Nachfolger als Parteiobmann: Luis Durnwalder oder ein anderer? Nicht wenige waren der Meinung, Durnwalder soll wie Magnago beide Ämter ausüben, andere sprachen sich für die Trennung aus.

Luis Durnwalder selbst wollte immer „nur“ Landeshauptmann sein und wünschte sich einen Obmann an seiner Seite, der ihn in dieser Hinsicht entlastete. Bei dessen Wahl wollte er jedoch ein gewichtiges Wort mitreden. („Ich werde den August über einen geeigneten Kandidaten für das Amt suchen“ - so wird er im FF-Magazin 32/92, S. 10 zitiert.)In dieser Situation beschloss das Wochenmagazin FF, Apollis – genauer gesagt die „Arbeitsgruppe Demoskopie“ wie das Institut sich damals noch nannte – mit einer Bevölkerungsumfrage zu beauftragen. Diese wurde im Zeitraum 28. Juli bis 2. August 1992 telefonisch durchgeführt und erbrachte aufschlussreiche Ergebnisse. Über zwei Drittel der Befragten sprachen sich grundsätzlich für eine Trennung der Ämter des Südtiroler Landeshauptmanns und des Vorsitzenden der Südtiroler Volkspartei aus. Als Grund für diese Meinung wurden am häufigsten (1) die Vermeidung von Machtkonzentration, (2) die Befürchtung, dass eine Person allein überfordert sei und (3) mögliche Interessenskonflikte ins Treffen geführt. Sobald es aber um die Person von Luis Durnwalder als möglichen nächsten Parteiobmann der SVP ging, sank der Prozent derjenigen, die sich für eine Trennung aussprachen auf 50%, während die Doppelfunktion von 39% begrüßt wurde (der Rest hatte keine Meinung). Übrigens fiel nur einer kleinen Minderheit (15%) eine personelle Alternative zu Durnwalder ein, sollte dieser nicht das Amt des Parteiobmanns übernehmen. Und kein einziger Name stach dabei heraus.

Ein weiterer, recht überraschender Befund war, dass die Unterschiede zwischen den Sprachgruppen in dieser wie den anderen Fragen zum Thema eher gering ausfielen. Viel stärker lagen die Meinungen auseinander, wenn nach Geschlecht, Bildungsgrad oder Nähe zur SVP differenziert wurde: Höhergebildete und Männer fordern die Ämtertrennung besonders häufig, SVP-Sympathierende haben seltener Einwände gegen eine mögliche Doppelfunktion Durnwalders.Was können wir aus heutiger Sicht aus dieser schon historischen Meinungsumfrage ableiten?
  • Rein methodisch blickt man als Umfrageforscher mit Wehmut auf eine Zeit zurück, als fast alle Haushalte über einen Festnetzanschluss verfügten, der im Telefonbuch verzeichnet war, und als die meisten der Kontaktierten sich freuten, ausgewählt worden zu sein und („endlich“) ihre Meinung äußern zu können. So leicht wird es nie mehr sein, Repräsentativität zu gewährleisten.
  • Die Kluft zwischen grundsätzlicher Ablehnung einer Doppelfunktion und deren Relativierung, wenn es um die Person Luis Durnwalder geht, erklärt sich wohl daraus, dass unterschiedliche Dinge gemessen werden: Im ersten Fall geht es um eine allgemeine Werthaltung der Befragten, im zweiten um eine konkrete politische Fragestellung. Wenn Befragte da (scheinbar) inkohärent antworten, so ist das nicht ihrer mangelnden Intelligenz zuzuschreiben, sondern einem Verhalten, das man pragmatische Vernunft nennen könnte. Um einen Standardsatz von Politikern abzuwandeln: „Die Befragten haben immer recht“.
  • Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass sich bestimmte Situationen in der Geschichte wiederholen: Soll Durnwalder/Kompatscher auch den Parteivorsitz übernehmen? Bei genauerem Hinsehen ist der Kontext doch sehr verschieden. So konnte sich Luis Durnwalder vor 30 Jahren „seinen“ Parteiobmann fast aussuchen (die Wahl viel später auf Siegfried Brugger), Arno Kompatscher musste sich im Jahr 2022 erst mit Achammer „zusammenraufen“, bevor sich die Wogen in der Partei wieder einigermaßen glätteten.

 
 
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